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Die verlorene Geschichte

Ich wurde in der Sowjetunion geboren, wo man über die Herkunft nicht sprach oder widerwillig. Durch die Revolution und Unterdrückungen sowie durch die Kriege wurde die Erinnerung an die Geschichte vieler Familien fast ausgelöscht.
Millionen von Menschen in der ehemaligen Sowjetunion wissen immer noch nicht, wo ihre Eltern, Großeltern und Urgroßeltern begraben sind.
Wer waren sie und was geschah mit ihnen? Ich suche schon lange Antworten auf diese Fragen. Ich weiß nur, dass alle meine acht Urgroßeltern im Russischen Reich geboren sind.
Meine Großmutter wusste sehr wenig über ihre Eltern, weil sie mit 9 Jahren schon Vollwaise war. Ihre Vorfahren sind den Ruf Katherina 2. von Deutschland nach Russland gefolgt. Sie lebten und arbeiteten an den fruchtbaren Ufern der Wolga. Meine Urgroßmutter Anna wurde ca. 1920 aus Russland durch das sowjetische Regime nach Turkmenistan ausgewiesen. Es war die erste Repressionsmaßnahme von der sowjetischen Regierung gegen die Wolgadeutschen. Über diese Maßnahme wurde wenig gesprochen und es gibt fast keine Informationen darüber. Anne starb im Alter von 22 Jahren an einer Blutvergiftung.
Der Vater meiner Großmutter hieß Jani. Niemand wusste genau, wo er geboren war und wie sein Nachname hieß? Vermutlich zog er von Finnland nach Russland und änderte seinen Namen nach russischer Art - Ivan. Er wurde 1937 erschossen, als „Feind des Volkes“.
Dies ist die einzige Information, die ich von diesen Urgroßeltern habe. Die interessante und geheimnisvolle Geschichte der Familie, hörte ich von meinen Vater, der jeden Sommer bei seinen Großeltern in Swerdlowsk im Ural verbrachte. Wahrscheinlich, hat jeder mindestens einmal in seinem Leben den Zeichentrickfilm "Anastasia" gesehen. Und jeder kennt das traurige Schicksal der Zarentochter. Meine Großmutter hatte eine sehr ähnliche Geschichte. Aber mit einem Happy End.
Laut Familie Legende, wurde meine Urgroßmutter Anastasia in einer alten Adelsfamilie in St. Petersburg geboren. Vermutlich, kommt aus dieser Familie eine Person, die in der russischen sowie europäischen Geschichte berühmt war - Ataman aller Kosaken.
Als die Revolution 1917 in Russland ausbrach, war meine Urgroßmutter eine noch junge Frau. Sie wurde von der St. Petersburg nach Jekaterinburg im Ural ausgewiesen. Und ihre ganze Familie wurde erschossen. Mein Vater sagte mir, dass einige ihrer Verwandten ins Ausland nach Europa fliehen konnten. Wer genau wusste er nicht. In Jekaterinburg, heiratete Anastasia meinen Urgroßvater, Vasilij Mahov. Er hatte russische Herkunft und war ein Handwerker auf einen metallverarbeitenden Betrieb. Am Stadtrand von Jekaterinburg, in der Arbeiter-Siedlung, baute mein Urgroßvater ein großes robustes Holzhaus. Und um das Leben seiner verwöhnten Frau zu erleichtern, hatte er eine Private Wasserleitung mit Handpumpe zum Haus gebaut. In den 20er Jahren war dieses eine Seltenheit. Aber sein Bauwerk konnte nicht lange genutzt werden.
Eines Tages hörte Anastasia im Hof Geräusche. Meine Urgroßmutter sah im Innenhof eine Gruppe von Soldaten, der Roten Armee. In Todesangst huschte sie durch den Raum. Sie wiederholte immer wieder: „Sie wollen mich abholen“. Die Rote Armee besuchte das Haus, zog eine Kreide-Linie mittig durch das Zimmer und verschwand. Anastasia hatte sich im Schrank versteckt. Nach einer Weile wurde das Haus, gemäß der Kreide-Linie, durch eine Wand geteilt. Schon bald zog eine neue Familie in das Haus ein. Sein Wasserbauwerk musste er dann den anderen Mitbewohnern überlassen. Anastasia war noch lange Zeit danach Krank vor Angst.
Meine Urgroßmutter hatte rechts an der Stirn eine Narbe. Sie behauptete - seit ihrer Kindheit diese zu haben. Aber vielleicht ist diese Narbe auch eine Spur der Hinrichtung? Warum haben die Bolschewiken ihre Familie hingerichtet und sie am Leben gelassen?

Sein ganzes Leben hat Vasilij seine Frau betreut und unterstützt. Meine Großmutter ging selten in die Stadt, sie mied die Gesellschaft. Aber jeden Sommer fuhr Anastasia zum Landsitz bei Moskau. Und nahm meinen Vater mit. Auf dem Landsitz Borovki hat sie sich mit ihrer treuen Dienerin, eine ehemalige Haushälterin im Hause ihrer Eltern, getroffen. Die Dienerin hieß Lisa. Lisa lebte und arbeitete, angeblich in einem nahe gelegenen Kloster. Im ehemaligen Herrenhaus konnte meine Anastasia ihr vergangenes Leben wieder genießen.
Anastasia hatte sich nie getraut ihre Heimatstadt St. Petersburg zu besuchen, obwohl sie die Stadt ihrer Kindheit sehr vermisst hatte. Leider kenne ich immer noch nicht, den Mädchennamen meiner Urgroßmutter. Mein Vater sagte mir: „ Zum Schutz ihrer Nachkommen verbarg sie ihre Vergangenheit“.
Mein Vater vermutete, dass die Überreste ihrer Familie in einen Waldsee zu finden sein.

Bisher wird in Russland über viele Verbrechen und Ungerechtigkeiten geschwiegen.
Darüber hinaus wurden die ersten Maßnahmen 1917-1918, fast nie oder sehr fragmentär und widersprüchlich dokumentiert.
Mein Wunsch wäre, alle Namen meiner Vorfahren zu erfahren, und die wahre Geschichte meiner Familie zu wissen.

Angaben zum Autor

Lilia Mahova, Deutschland

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Ursprungsregion(en) des Autors

Diese Geschichte wurde publiziert am: 22.12.2011

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